schon seit einigen wochen trage ich das thema nun mit und in mir... nicht das erste mal schreibe ich darüber und auch wenn ich das thema allgemein immer für wichtig hielt, mutierte einiges in den letzten monaten so, dass ich sie nun ein zweites mal aufbringen muss: während ich das thema vor über zwei jahren
faszinierende welt des internets nannte, wäre heute der passende titel wohl "internetplattformen und ihre skurrilitäten" :) aber auch weniger humorvolle titel würden mir einfallen, von internetmobbing bis verletzten von menschen in meinem wirklich leben durch die ach so wunderbare welt des WWW...
so soll ich nur anfangen? ich sitzte hier bei meiner zweiten tasse kaffee, die arbeit türmt sich links und rechts und während ich mein altes post aus dem jahre 2010 durchgelesen habe, wundere ich mich wieder mal über mich selbst. dieses wundern - schon damals allerdings vorhanden - ist nun nach über zwei jahren auch mit schmerz, entsetzten über mich selbst und auch anderen menschen verbunden, mit reue, meinen sechsten sinn ignoriert zu haben und mich - auch wenn ich selber immer wieder davor gewarnt habe - in die wirren diverser plattformen eingelassen habe...ok, das war ein langer und verwirrender satz, der aber so ziemlich genau das chaos in mir darstellt, welches ich versucht habe zu ordnen, in dem ich vor nun fast 3 wochen etwas gemacht habe, was ich längst hätte schon tun sollen: ich habe der grössten, faszinierenden, aber wohl auch der gefährlichen plattform den rücken zugekehrt, denn ich habe mein profil auf facebook deaktiviert...
diese entscheidung war keine spontane, sondern eine, die sich seit wochen, ja eigentlich seit monaten abgezeichnet hat und es tut mir vom herzen leid, dass ich das nicht schon viel früher gemacht habe. noch mehr tut es mir leid, dass ich als teil dieser onlinegesellschaft nicht einiges verhindern konnte, dass ich einiges erlebt habe, worauf ich nur zu gerne verzichtet hätte und dass ich menschen, die ich gerne habe, einige nicht ersparen konnte...und so vieles mehr... alleine die tatsache, dass ich nun auch in diesem post in erster linie chaos schreibe, zeigt auch mir selber, wie sehr mich das ganze noch aufwühlt, es mir bei weitem nicht egal ist, auch wenn ich es kritisch sehe... sehr kritisch... so sehr, dass ich auch nicht weiß, ob ich je wieder dort hin zurück kehre... und ob ich einiges und einige je wieder normal sehen werde...denn eine frage beschäftigt mich immer wieder: wie kann es sein, dass wir langsam aber sicher so mutieren, dass diese onlinewelten wichtiger werden als die welt draußen? dass unsere moderne gesellschaft, von kindern bis hin zu menschen in einem hohen alter, die virtuelle welt der illusion teilweise über persönliche momente hinwegstellen? wie kann es sein, dass wir stunden und stunden vor dem kasten verbringen, statt sich an reale menschen zu wenden, die oft nur ein paar schritte von uns entfernt sind? sind wir kollektiv internetsüchtig? nein eh nicht, jeder von uns hat sich im griff... nur wo sind die grenze zur sucht? und werden wir sie selber bemerken???
mehrere typen von usern, für mich klar schon in der spalte süchtig oder einen schritt davon entfernt, sind mir in den letzten monaten aufgefallen und selber bin ich auf mehrere gruppen solcher menschen reingefallen... gruppen auf facebook, die noch mehr als die plattform selber nähe, intimität, kontakt, interesse am leben der anderen und vieles mehr darstellen und vortäuschen, ja das ganze sogar als eine art virtuelles wohnzimmer verkaufen, wo man sich als gern gesehener gast fühlen kann oder gar als "familienmitgleid" , bis auch der letzte (zu denen ich sicher lange gehört habe) in diese falle hineintappt und dann zu sehen, hm, das ganze ist doch etwas anders....und auch wenn einiges recht lustig und humorvoll genommen werden kann, sehe ich bei einigem wirklich die tendenz, sich sorgen machen zu müssen...und obwohl ich immer kritsch und skeptisch war - die sache mit dem stein kenne wir alle - ich würde mich mit sicherheit NICHT trauen, diesen als erste zu werfen... eventuell nur mit einer gehörigen portion ironie hin und da von mir selber wegzuschieben ;) schauen wir uns mal ein paar dieser typen an...
1. der jammertyp... der typ von user ist eigentlich teilweise zu belächeln, auch wenn er/sie furchbar auf die nerven der leser gehen kann. NICHTS passt. statusmeldungen/gruppeneinträge sind zu 80%... jammern. das wetter ist schlecht, die frisur ist unwillig, der wecker hat die sommerzeit verschluckt, der hund hat verschlafen, das kind ist unmöglich, der mann sowieso und wenn diese alle faktoren noch zu wenig sind um mitleid zu erregen, dann kommen diverse krankheiten dazu. verletzten, verbrennungen, kleine und grosse auas, bis hin zu katastrophenmeldungen von krebs und anderen massiven krankheiten sind an der tagesordung. wenn diese fehlen, finden sich sicherlich welche im tagesgeschehen, denn irgendjemand auf der welt, prominent oder nicht, wird schon krank sein oder im sterben liegen... und dann wird weiter gejammert, gejammert, gejammert... aufmerksamkeit in form von unzähligen posts und tipps und ratschlägen helfen in diesem fall nur wenig... denn das jammern ist der sinn des lebens... energieraubend und mühsam ist dieser typus, wenn auch meist harmlos... durch einen klick aus der freundschaftsliste entfern, befreut man sich von den tragödien der welt, in einer gruppe jedoch kann man sich geschickt ignorieren...
2. der neugierige ich-muss-immer-alles-und-zu-jeder-zeit-wissen typ... ebenfalls eher zum lachen, wenn es oft nicht zu weinen wäre... der typ von user ist überall dabei! immer und dauernd, in jeder gruppe, in jeder untergruppe, egal, ob das thema und die menschen passen. man könnte ja was verpassen. nimmt jeden in die freundschaftsliste an, weil man ja ebenfalls was nicht sehen könnte, was vielleicht ja mal spannend werden könnte. klasch und trasch sind gut, aber nicht genug, man muss es selber sehen und lesen. fremde profile werden erforscht, die profile von freundesfreunden und von freundesfreundensfreunden ebenfalls... kein kommenar entgeht ihnen, kein photo wird übersehen und sollte jemand etwas unklares posten, wird sofort nachgefragt... auch in den gruppen ist es kaum möglich, etwas nicht zu erfahren und zu wissen, im notfall muss man sich halt das wissen hinter dem rücken des users beschaffen, der diese information nicht preis gibt... auf jeden fall hat der user ein lachpotenzial, aber wehe, man will etwas doch für sich behalten ;)
3. der tratsch-und-klatsch typ...geht hand in hand mit dem typ nr. 2, denn neugierde ist auch hier eines der leitmotive, allerdings trägt dieser typ die neuigkeiten gerne in die menschheit hinaus. trasch ist spannend, trasch ist leidenschaft und diese verpflichtet, bis auch der letzte user alles weiß oder auch die noch so versteckte gruppe auffliegt. motivation kaum verständlich. resultate oft verherrend... ..aber egal, man hat ja schließlich eine aufgabe zu erledigen, da kann man keine kleinen opfer beweinen... maulwurf ist hier das lieblingstier. besonders spannend wird es jedoch zu beobachten, was der trasch für auswirkungen hat, aber der klassische reine tratsch und klatsch typ ist damit wenig beschäftigt...
4. der beobachter und spieler typ... für mich oft kombiniert mit typ 3, aber auf einem viel höheren niveau...der usertyp ist klug, berechnend und weiß, wie man wissen gut einsetzt um menschen zu provozieren und um reaktionen hervorzuholen. dieser typ amüsiert sich darüber, andere menschen aus der reserve zu locken, zu provozieren, zu beobachten... sie sammeln gerne andere user um sich, zeigen sich gerne als zentrum von communities, geniessen oft sogar einen gewissen onlinekult status... klug eigentlich... den sie stehen darüber... dumm ist man selber, wenn man es erst zu schluss versteht...oder eben oft gar nicht...
5. personenkultanfällige user... solche gibt es auch im WWW nicht wenige... in meinem kopf enstehen immer bilder aus diversen geschichtlichen momenten, ob die massen mit der ausgestreckten hand, ob die massen mit der roten fahne, ob die schüler in der uniform vor der zeichnen der welle, personenkult hat sich in allen formen gezeigt... und auch online ist er vertreten, denn auch hier gibt es einerseits menschen, die sich gerne inszenieren, aber auch leute, die dieser inszenierung gerne die masse geben...oft völlig unreflektiert, ohne die personen je gesehen zu haben, scharren sich user um ein idealbild... amüsierend für typ 4, für mich jedoch erschreckend... vielleicht der erschreckendste typ von allen...
6. der immer-und-zu-jeder-zeit-online-user... für mich der faszinierendste von allen...zu jeder tages und oft nachtzeit findet man diesen user online, der grüne punkt ist da, denn man könnte was verpassen. egal, ob diese user zu hause sind, ev. kinder betreuen, oder berufe haben, die internetwelt ist immer präsent und muss gecheckt werden. eine stunde mal nicht am computer? wozu hat man ein smartphone? wenigstens dieses kann immer und überall dabei sein und auch facebook ist somit ein treuer begleiter... mit freunden unterwegs sein, tolle sache... aber das handy mal 2 stunden nicht in der hand haben, unmöglich... wichtige eregnisse müssen doch dokumentiert werden, schön chronologisch und immer aktuell. egal ob hochzeit, taufe, geburstag oder sonst ein besonderer moment im leben dieses users, die internetwelt muss daran teilnehmen...immer und zu jeder zeit...dass viele gerade dieser user mit der zeit (oder vielleicht schon vorher) kaum reale freunschaften haben, wundert einen nicht... denn wie soll ein mensch mit kaffee und kuchen in der hand all diese spannenden momente auf diversen plattformen ersetzen?
ich denke, dass es sicher noch viele weitere typen gibt, doch für mich persönlich ist die kombination einiger dieser typen das, was mich schlussendlich zum weggehen bewogen hat. die gebalte ladung von klasch und trasch, gut gemischt mit neugierde, usern die nur spielen wollten und schlussendlich auf den fruchbaren boden von immer online usern gefallen sind, bilden eine mischung, die hoch explosiv ist. und gepaart mit meiner eigenen naivität und meine vertrauen in das gute, hinterlässt das tiefe, tiefe spuren... vielleicht hat es mich auch noch erschreckt - nein, nicht vielleicht, ganz sicher - dass ich mich ansatzweise in einigen typen von oben erkannt habe. nicht in allen, aber wie gesagt, der erste stein wird nicht aus meiner reihe fliegen...und noch etwas hat mich am erstaund und teilweise zu tiefst verletzt: wie sehr, wie extrem wahre freundschaften unter dem einfluß dieser plattformen sich verändern können. wie sehr man sich verletzten kann, ohne es zu wollen. wie einsam man plötzlich sein kann, wenn man einigem den rücken kehrt. wie sehr die menschen verlernt haben kontakte zu pflege außerhalb von facebook und dem internet... telefonieren scheint völlig out zu sein, emails wohl auch schon, briefe sind sowieso schon aus der steinzeit... gestern in der buchhandlung (ja, ich gehe noch sehr konkret in eine, nicht nur online ;)) sind mir zwei bücher aufgefallen, die meine momentalen gedanken noch mehr verstärkt haben :
http://www.amazon.de/Keine-E-Mail-f%C3%BCr-Dich-vereinsamen/dp/3442830117/ref=sr_1_cc_1?s=aps&ie=UTF8&qid=1351597660&sr=1-1-catcorr
http://www.amazon.de/Wa-Freunde-Beziehungen-Online-Netzwerken-ver%C3%A4ndern/dp/3827427835/ref=sr_1_1?s=books&ie=UTF8&qid=1351597951&sr=1-1
ich glaube, ich muss zu diesem thema noch etwas mehr lesen, noch mehr nachdenken, reflektieren, zeit verstreichen lassen und schauen, ob ich je wieder dort einsteigen möchte. im moment erscheint es mir fast unmöglich, auch wenn ich einige an freunden (wirklich wahren, aber weit entfernt lebenden) doch vermisse...
in der zwischenzeit lerne ich mal damit zu leben, dass einige "freunde" nun mal nur onlinebilder waren, aber auch mich daran wieder zu erinnern, dass es wahre freunde gibt (gut, das habe ich NIE vergessen, wenn man ehrlich sind, bei einigen muss ich es mir nur in erinnerung rufen ;)), dass man die abende außer mit arbeit und internet auch sehr spannend anderes geniessen kann, so sehr, dass man zb eine ganze woche lang nie zu hause ist :) dass man die spielesammlung entstauben kann, genauso wie längst vergessene hobbies. dass man lange gespräche mit dem partner früher kann und die uhr mitten drinnen einen überrascht, dass es doch fast zeit ist zum aufstehen. und dass ich - nachdem ich gestern liebevoll zum ersten mal sehr jahrzehnten briefpapier ausgesucht habe - auch einen richtigen brief bald auf den weg schicken werde :)
